Kapitel 1
´Warum müssen Montage immer so total beschissen
anfangen ,́ dachte sich Rudlof Demgartner an diesem Morgen, als er sein riesiges Büro im obersten Stockwerk seines Bürohochhauses betrat.
Er ging, wie jeden Morgen in den Erfrischungsraum, um sich zu kämmen und herzurichten. Er trat vor den riesigen Spiegel und betrachtete sich etwas eingehender als sonst.
´Eigentlich siehst du alter Junge mit deinen siebenundvierzig Jahren noch gar nicht so schlecht aus´, dachte er, ́ war es das schon? Kommt da noch was? Na ja. Etwas grau geworden und hoppla. Kleine Fältchen unter den Augen!. Was nur Barbara immer an mir auszusetzen hat .... Was Solls. Die nörgelt doch an Allem und Jedem herum´.
Seit nun schon vierundzwanzig Jahren ist er mit seiner Jugendliebe Barbara verheiratet, die er mit neunzehn Jahren kennen gelernt hatte. Sie waren gerade einmal ein halbes Jahr zusammen, als sie überhastet heirateten, weil er zum Militär musste....
´Irgendwie ist die Luft vollkommen aus unserer Beziehung heraus ,́ stellte er ganz nüchtern und sachlich fest.
Sie ging seit geraumer Zeit ihre eigenen Wege, er ging Seine. Eigentlich lebten sie nur noch nebeneinander her.
´Wer weiß, wie es gekommen wäre, wenn wir Kinder gehabt hätten ...", dachte er. ́ Vielleicht wäre dann alles ganz anders gekommen´.
´Mein Gott´, durchfuhr es ihn plötzlich und erinnerte sich an seinen ersten gemeinsamen Urlaub mit ihr.
.́...war das damals ein phantastischer Urlaub am Mittelmeer.
Die warme Sonne, das Rauschen der Wogen, das gute Essen, ....die nackten Körper ...´.
Er hing mit seinen Gedanken durch und versuchte sich an eine Nacht mit ihr zu erinnern. Nach einem wunderschönen Abendessen, sie hatten reichlich von dem süßen, aber kräftigen Rotwein getrunken, gingen sie auf ihr Hotelzimmer. Sie verführte ihn mit allen Reizen einer Frau. Lebenshungrig, unbeschwert und zügellos ausgehungert. Zusammen mit dem berauschenden Zedernduft der überall in der Luft lag, der durchsichtigen Wäsche, dem braungebrannten Körper ...
´Mann, war das eine Nacht´, dachte er.
Weiter ist er nicht mehr gekommen, denn seine Sekretärin klopfte an. „Kommen Sie herein, Frau Limmer", hörte er sich sagen und legte resignierend den Rasierapparat zur Seite.
„Na, was liegt heute an. Haben Sie mich wieder mit Terminen zugeschüttet oder mir noch etwas Luft zum Atmen gelassen", lachte er sie aus müden Augen von der Seite her an und dachte so beiläufig. ´Sie sieht eigentlich gar nicht so schlecht aus´.
„Herr Direktor", sagte sie. „Ich möchte sie darauf aufmerksam machen, dass Sie heute ihren
fünfundzwanzigsten Hochzeitstag haben. Soll ich für Ihre Frau etwas besorgen? Sie möchten Ihr doch bestimmt etwas Schönes zu diesem besonderen Anlass schenken? Ich meine. Weil sie nun doch fast ein Vierteljahrhundert miteinander verheiratet sind. Ich denke, das wäre schon ein paar Tagen im Schaufenster ..."
Weiter kam sie nicht. Demgartner fuhr ihr genervt dazwischen. „Lassen Sie mich damit in Ruhe. Kaufen Sie wie jedes Jahr ein paar Blumen und lassen Sie sie mit
Fleurop zu mir nach hause schicken ...". „Wie Sie meinen, Herr Direktor. Ich habe es ja nur gut
gemeint ..!", sagte sie verschüchtert. „Machen Sie mir heute bitte einen starken Kaffee und
besorgen Sie mir etwas zum Essen". Ihm fiel nämlich eben ein, dass er vor lauter Ärger heute Morgen wieder einmal
vergessen hatte zu frühstücken.
Damit war das Thema Hochzeitstag für ihn erledigt. Er ging auf seinen Schreibtisch zu, drehte sich noch einmal zu Frau
Limmer um und rief ihr noch zu, denn sie war schon fast aus dem Zimmer.
„Aber bitte kein Fastfood!!". ´Soweit kommt es noch ,́ dachte er. ́ Ständig trampelt sie auf
meinen Nerven herum, kommandiert von morgens bis abends und dann soll ich sie noch mit
teuren Geschenken belohnen.
Kommt ja überhaupt nicht in Frage. Ein paar Blumen, tun es genauso".
Er überflog flüchtig seinen Terminplaner, den die Limmer hereingebracht hatte und stellte erstaunt fest, dass heute
terminmäßig eigentlich nichts Besonderes los war.
´Das könnte ich doch dazu nutzen, einmal wieder einen Rundgang durch die Firma zu machen´ dachte er und erinnerte
sich daran, dass er das früher, als er noch mehr Zeit hatte, regelmäßig mit großer Begeisterung getan hatte.
´OK´, dachte er begeistert. ´Das mache ich. Das ist eine
sehr gute Idee´. Er nahm den Telefonhörer in die Hand, wählte sein Vorzimmer und sagte.
„Sie, Frau Schneider, halten Sie mir heute Morgen alle Telefonate vom Leib und sagen Sie Herrn Böhm von der
Marketingabteilung, dass ich ihn dringend sprechen möchte. Er soll um halb Zehn in mein Büro kommen. Danke. Ach ..., Übrigens. Das mit den Telefonaten gilt auch für meine Frau".
´Ja, der Rundgang wird mir gut tun. Endlich mal wieder normale Leute sehen und abspannen´.
Es klopfte und auf sein „Herein bitte" erschien Frau Limmer mit einem Serviertablett und einem herrlichen Frühstück darauf. Als ob sie geahnt hätte, was er im geheimen wollte, servierte
sie Toast, Schinken, O-Saft, Ei, sogar an echten Kaviar hatte sie gedacht. Den wunderbaren Duft des Kaffee´s roch er schon von weitem.
„Sie haben doch bestimmt einen Anschlag auf mich vor", fragte er schon etwas besser gelaunt seine Sekretärin. „Aber nein, Herr Direktor. Ich dachte nur, weil Sie heute Morgen so traurig ausgesehen haben, dass ich Sie ein bisschen aufpäppeln sollte. So ein kleiner Vitamin- und Kraftstoß tut in so einer Situation sehr gut, glauben Sie mir".
´Mein lieber Mann´, dachte er. ´Aufmerksam ist Sie ja. Sie kann Gedanken lesen und liest mir auch sonst jeden Wunsch von den Augen ab. Was wäre ich ohne sie ...´.
Er kam wegen dieser Eigenschaften ins Schwärmen. Aber ´diese rundliche Figur, diese , dachte er und beendete damit abrupt den Gedanken, sie attraktiv zu finden. Abgehakt!
´Wie weit ist es mit mir gekommen, dass ich mich schon über ein albernes Frühstück freue ... Lächerlich´.
Ohne weiter darüber nachzudenken genoss er das köstliche Essen und schluckte mit einem Glas O-Saft seine tägliche Depressivum-Pille hinunter. „So," sagte er, „jetzt geht´s mir schon viel besser", stellte
das Tablett mit dem Geschirr auf die Seite, holte sich eine von seinen ach-so-geliebten Havanna-Zigarren heraus, brannte sie mit einem langen Streichholz genüsslich an und schwärmte. ´Was wäre ein Tag ohne meine Schwarze´.
Er hatte gerade mal drei Züge genommen, da erschien auch schon sein Freund Christian Böhm, Leiter der Marketing- und Publik-Relationsabteilung.
Die beiden duzten sich seit Jahren, nachdem sie sich bei einer betrieblichen Meinungsverschiedenheit gegenseitig
lautstark die Meinung sagten und Demgartner daraufhin erstaunt feststellen musste, was er in Böhm für einen zuverlässigen und treuen Mitarbeiter hatte.
„Morgen Christian. Wir zwei machen heute einen Rundgang durch den Betrieb. Hast du Zeit?".
„Morgen, Rudi. Natürlich", sagte Böhm etwas verwirrt. „Und nehme bitte einen Fotoapparat und ein Diktiergerät mit. Ich möchte, dass du ein paar Fotos machst und den einen oder anderen Mitarbeiter interviewst. Publicity, du verstehst?".
"Du bist und bleibst ein riesen Schlawiner", sagte Christian, lachte seinen Freund dabei wertschätzend an und fragte.
„Was ist passiert? Warum Heute und jetzt? Gibt es was Besonderes? Das sind ja ganz neue Seiten an dir. So leutselig kenne ich dich noch gar nicht".
„Christian. Du kennst mich noch lange nicht. Ich habe Seiten an mir, die ich dir lieber nicht verrate. Aber Spaß beiseite. Ich habe heute Morgen, weil terminmäßig nichts
besonderes los ist, beschlossen, einen Rundgang durch die Firma zu machen. Das habe ich früher schon gemacht, als du noch nicht für mich gearbeitet hast. Ich habe die Leute an ihren Arbeitsplätzen besucht, sie über ihre Probleme befragt
und hi und da auch einmal ein anständiges Weißbier mit ihnen gekippt. Aber das ist lange her ... Ich möchte diese Tradition
aber wieder fortsetzen ...", und schaute dabei auf das übergroße Ölbild hinter seinem Schreibtisch, das ihn als jungen Mann, voller Mut und Tatendrang, zeigt.
„Schau, Christian, so habe ich vor zirka fünfzehn Jahren ausgesehen. Zu der Zeit war die Welt auch noch in Ordnung. Damals haben etwa zwanzig Leute für mich gearbeitet. Und, wie du weißt, sind es heute fast Zweitausend, denen ich Arbeit und Einkommen gebe".
„Rudi, wie du meinst. Aber denke unbedingt daran, dass du heute der große Macker und nicht mehr der Kumpel um die Ecke bist. Du weißt ja, wie die Menschen heutzutage sind. Du gibst ihnen den kleinen Finger und die nehmen die ganze Hand."
„Jaja, Christian, das lass aber nur meine Sorge sein. Übrigens. Um zehn Uhr treffen wir uns am Werktor Eins. Dann geht es los. Meinst du, dass du bis dahin alles erledigt
hast?".
„Na Klar. Ich muss nur noch ein paar Termine umlegen. Aber das geht schon in Ordnung. Ach, Rudi. Was mir gerade einfällt. Hast du nicht heute Hochzeitstag? Heute ist doch der ..."
auch schon in den Ohren gelegen. Ja, ich habe heute Hochzeitstag und schon Ende. Ich will nichts mehr davon hören. OK?" „Schon gut", sagte Christian verwundert und schaute seinen Freund besorgt an. „Also bis um Zehn".
Sie verabschiedeten sich kurz und Böhm ging grübelnd in sein Büro zurück.
´Irgendwie mache ich mir Sorgen, um dieses alte Schlachtross. So hat er noch nie reagiert. Naja. Vielleicht ist er ja heute Morgen nur mit dem falschen Fuß aufgestanden. Wird sich schon wieder geben´.